Wissenschaftler gegen Gesetzgeber: Warum der Entwurf für ein neues Naturgesetz in Luxemburg alarmierend ist

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Der im November 2024 in Luxemburg vorgelegte Gesetzesentwurf zum Naturschutz sollte ein Kompromiss zwischen Ökologie und Baupolitik sein. Die wissenschaftliche Gemeinschaft, vertreten durch das Observatoire de l'Environnement Naturel (OEN), ist jedoch sehr besorgt. Nach Ansicht von Experten verbessert die derzeitige Fassung des Gesetzes die Situation der biologischen Vielfalt nicht nur nicht, sondern droht sie sogar zu verschlechtern, während der versprochene Bauboom ausbleibt.
Jessie Thill, Präsidentin des OEN, betont, dass das Leitmotiv des Gesetzentwurfs, "größer und schneller zu bauen", im Widerspruch zum grundlegenden Ziel des Naturschutzes stehen könnte. Sie stellt fest, dass die Vereinfachung der Verwaltungsverfahren ein positiver Schritt ist, der jedoch mit einer Reihe von schwerwiegenden Mängeln einhergeht. Dazu gehören unklare Formulierungen, eine unzureichende wissenschaftliche Untermauerung der Normen und fehlende Garantien für die Funktionsfähigkeit der Ausgleichsmechanismen.
Dem Gesetzentwurf zufolge können die Gemeinden Schäden durch Baumaßnahmen über "Ausgleichspools" ausgleichen, also über Grundstücke, auf denen neue Lebensräume geschaffen oder bestehende umgesiedelt werden sollen. Laut Thiel wird in dem Gesetz jedoch nicht erläutert, was genau als "nahe gelegenes" Gebiet gilt und wie Tiere oder Pflanzen aus einer Entfernung von mehreren Kilometern physisch umgesiedelt werden können. Bei vielen Arten, die auf eine genaue räumliche Orientierung angewiesen sind, klingt eine solche Formulierung nach bürokratischer Phantasie.
Besonders besorgniserregend ist die neue Regelung der so genannten "städtischen Waldflächen", d.h. Grünflächen innerhalb von Städten, aber außerhalb offizieller Grünzonen. Das Gesetz führt ein Kriterium ein: Wenn der Anteil solcher Anpflanzungen 20 Prozent der Gesamtfläche übersteigt, ist die Gemeinde verpflichtet, die Zerstörung von Ökosystemen zu vermeiden. Das OEN ist jedoch der Ansicht, dass dieser Schwellenwert wissenschaftlich nicht fundiert ist. Außerdem bleibt unklar, wer für die Pflege dieser Grünflächen verantwortlich ist - die privaten Eigentümer oder die Gemeinden. In Ermangelung einer klaren Verantwortungsstruktur könnte diese Vorschrift ein toter Buchstabe bleiben.
Das OEN betont: Sie lehnen die Idee der Reform nicht ab, sondern fordern ihre wissenschaftliche und praktische Konkretisierung. Zu den wichtigsten Forderungen gehören:
- eine klare Definition von Begriffen wie "Ausgleichspool" und "nächstgelegener Standort";
- Verbot vager Kriterien, insbesondere in ökologisch sensiblen Gebieten;
- Entwicklung eines Mechanismus für die Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen unter Beteiligung unabhängiger wissenschaftlicher Institute;
- Verbot, die Schutzregelung für Grünflächen unter dem Vorwand der "Flexibilität" zu schwächen.
Der Gesetzesentwurf, der ein Gleichgewicht zwischen Bauwesen und Naturschutz herstellen soll, läuft immer noch Gefahr, zu einer Illusion des Kompromisses zu werden. Zu allgemein gehaltene Formulierungen, mangelnde Berücksichtigung der biologischen Gegebenheiten und unzureichend entwickelte Umsetzungsmechanismen machen das Dokument eher zu einer Erklärung als zu einem Instrument des Naturschutzes. In einer Situation, in der die biologische Vielfalt in Europa in alarmierendem Maße abnimmt, fordert die wissenschaftliche Gemeinschaft keine schnellen Lösungen, sondern verantwortungsvolle und klar definierte Schritte.